Sonntag, 12. Juni 2022

Tod Ist Schneller

Im Treppenhaus weinten Kinder und schrien. Sie saßen wie Kugeln auf den Treppen, die Finger in die Ohren steckend. Ich sah meine Cousine an, ihren blonden Haaren, die Augen. Sie war immer so vital und glücklich, aber jetzt... Sogar ihre Hälfte fehlte, für irgendein Grund. Ich schaute um, sie ist nirgendwo zu sehen. Die Zwillinge waren sonst immer zusammen, aber seit die Flugzeuge anfingen, zu bombardieren, finde ich nur die eine Hälfte. Ich schaute um, das Treppenhaus von dem alten Gebäude ist wie immer so dunkel. Die meisten Ecken wurden nie vom Sonnenlicht getroffen, und da, wo Sonne scheint, standen ein paar Pflanzen. Aber sogar in diesen Ecken ist es dunkel, die Pflanzen sind tot. Ich habe mich immer bewundert, warum man eine Pflanze hier versucht, am Leben zu erhalten. Ja klar, sie atmen und ernähren, das tue ich auch, aber ich kann denken und wahrnehmen. Die Dingern wissen nicht Mal, dass ihre Häupter in der Hölle auf Erden sich befinden. Ich schaute nochmal auf die Schwestern um, ich entdecke nur eine Hälfte. Die blauen Augen sind aber nicht mehr zu sehen. Sie murmelt mit koranischen Worten, in der Hoffnung, dass Gott sie am Leben erhält, oder uns. Ich will nicht am Leben bleiben. Ich habe schon immer gehofft, zu sterben. Ich will nicht aus eigener Hand sterben, nein, ich bin nicht schwach. Ich will getötet werden, genau. Ich möchte, dass jemand meine Seele nimmt, sie von mir klaut, das, was mir Gott gab. So trage ich keine Schuld, oder bin ich schon schuldig wegen des Wollen?
Ich schaute um.

Die Zwillingsschwester weint immer noch. Ich ging zu ihr und saß auf ihrer Höhe. Sie bewegte sich nicht, nahm mich kaum wahr. Ich sah in ihrer Augen, unter den Lidern versteckt, aber ich sah sie. „Ist alles gut?" „Ich will, dass's aufhört" und sie wiederholte es weiter. Ob es aufhören wird, liebes, weiß ich nicht. Man könnte die Augen schließen, und so tun, als hörte es auf. Ich erinnere mich in der Grundschule noch wie mein Freund und ich herausgefunden haben, dass man Bilder im Kopf bilden kann und so verschiedene Sachen sich vorstellen kann. Ich lernte später, dass das Fantasie genannt wird, und noch später, dass mein anderer Freund, der das nicht könnte, von Aphantasie litt. Wir stellten uns so den Kopf der Lehrerin im Körper einer Kakerlake, oder den Körper meines anderen Freundes als einen Bleistift vor. Darauf stürzten wir ins Lachen. Wenn man die Augen schließt, weiß man gern, dass nichts andere auf der Welt existiert außer sich. Ich bin meine Welt. Aber meine Welt stürzt gerade, meine Welt ist die Hölle.
Ich will dass's aufhört
Ich schaute um.

Um mich herum versuchten Menschen ihre Gleichgewichte zu halten. Das Flugzeug fliegt weiter vorbei, Kugeln in der Luft. Vor einem Jahr habe ich mein Zimmer verlassen. Ich lag noch auf den Boden und Versuchte, die Kälte der Boden meinem Körper zu geben. Mein Vater neben mir, meine Mutter dort im Zimmer. Und schon muss man neue Geräusche hören. Tage zuvor habe ich die erste Kugel gehört. Tage zuvor wünschte ich, dass es nie wieder geschossen wird. Tage später muss man die Bombe kennenlernen. Das ist kein Geräusch mehr. Es ist ein Beben. Es bebt. Sehr schnell, das Geräusch ist sehr schnell. Aber der Tod ist schneller, sagt mein Vater.

Tage später nach Tagen zuvor müsste ich fliehen. Meine Kindheit anlügen, Tage später würde ich wiederkehren. Tage später übernachte ich bei meiner Oma. Tage später befinde ich mich in diesem Gebäud'. So schnell, Tod ist schneller. Meine Oma ist im Treppenhaus, sie ruft nach meinem Vater, kehre in Frieden mein lieber Sohn. So alt sie ist, so viel sie litt, mit ihren Augen könnte sie den gesamten Krieg tragen. Für ihre Kinder trotz der stärksten Beben in Gleichgewicht stehn.
Tage später
Ich will dass's aufhört
Ich schaute um.

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