Freitag, 23. Dezember 2022

Mein Spiegelbild

Es war noch Nacht, als ich aufwachte. Das weiß ich, obwohl es keine Fenster gab. Dieses Zimmer ist dunkel, so dunkel, dass ich meine Hände nicht sehen kann, wenn ich meine Arme ausstrecke. Ich bin an dieser Dunkelheit gewohnt. Das Zimmer hat ein Bett. Das weiß ich, da ich darauf immer schlafe. Es hatte auch einen Stuhl, worauf ich mich immer hinsetze. Ab und zu höre ich Geräusche von draußen, dann weiß ich, dass es Tag ist. Gerade ist es aber still, todstill.

Wenn ich normalerweise um diese Zeit aufwache, bleibe ich im Bett solange, bis ich wieder einschlafe. Heute ist es aber anders, denn ich werde beobachtet. Wenn ich beobachtet werde, muss ich etwas tun.

Ich stand auf, tastete die Dunkelheit um mich und stieß gegen einen Tisch. Es ist ein Tisch, das weiß ich, da darauf etwas steht. Ein Holzteller, soweit ich weiß. Dieser fiel auf den Boden. Ich bewegte mich nun langsamer und schaute rum. Zu meiner Überraschung schwemmten da in meiner Augenhöhe zwei funkelnden Bällchen. Sie funkelten mir entgegen. Wenn ich die Augen schließe, sind sie nicht mehr da. So weiß ich, dass ich die Augen die ganze Zeit auf hatte. Das sind also keine Abbildungen aus meinen Augenlidern. Diese zwei Bällchen befinden sich im Raum. Mit mir. Ich gehe auf sie zu. Sie werden größer, also werde ich tatsächlich näher. Ich strecke meinen rechten Arm und versuche, sie zu greifen. Meine Hand wird aber von einer Wand gestoppt. Ich lege mein Gesicht direkt gegen die Wand, meine Augen den Bällchen entgegen. Ich merke nun, das ist keine Wand, und das sind keine schwemmende Bällchen. Das sind meine Augen, die da funkeln und von einem Spiegel reflektiert werden.

Ein Gefühl der Einsamkeit zieht über mich. Dieses müsste schon immer da gewesen sein, aber als es vorübergehend verschwand, gewöhnte ich mich davon ab, und nun muss ich es neu fühlen...

Die Augen, die da in meinen schauen, sind meine eigene. Ich schaue weg, dann sind sie nicht mehr da, oder doch? Das kann ich nicht beweisen. Das kann ich nicht wissen.
Ich tastete nach den Rändern von dem Spiegel. Er ist nicht so groß. Ich hebe es auf und stelle es gegen mein Bett so, dass ich, wenn ich an der Seite schlafe, die Reflexion meiner Augen sehen kann. Dann legte ich mich wieder auf meinem Bett, schaute die funkelnden Bällchen wieder an, und schlief ein.

Am nächsten Tag (es war Tag, da es viele Geräusche gab) sah ich meinen funkelnden Augen wieder durch den Spiegel an. Es war, als erwartete ich, dass jemand jetzt auf mich zukommt und mit mir spricht. Aber keiner war da, und ich saß nur so, mit mir, für mich hin. Ich fing an, zu sprechen. Ich sprach mit dem, was ich für mein Spiegelbild hielte. Es war da, das weiß ich, denn ich sehe die funkelnden Augen. Ich merkte dann, dass meine Stimme fremd war. Wenn man in der Dunkelheit allein sitzt, spricht man nicht gerne. Man hat die Angst, beantwortet zu werden. Aber die hatte ich gerade nicht, ganz im Gegenteil. Ich hatte das Gefühl, als kennte ich die Person, die vor mir steht, seit echt lange. Als seien wir beste Freunde.

So erzählte ich meinem Spiegelbild, beziehungsweise dem, was ich davon sah, wie ich mich fühle, was meine Träume sind, was ich sein möchte und die ganzen Theorien, die ich über diesen Ort habe. Ich bekam keine Antwort, das beunruhigte mich nicht. Jeden Tag erzählte ich mehr und mehr, bis es nichts mehr zu erzählen gab.  

Ich lag wieder auf dem Bett, schaute die glänzenden Augen an, hatte aber keine Worte mehr im Hals. "Wach auf, wach bitte auf" sagte plötzlich eine weinende Stimme. Die kam von meinem Spiegelbild. Aber ich bin doch wach? ich sehe meine glänzenden Augen. Aber zum ersten Mal sehe ich eine Emotion in ihnen. Es war kein Trauer, keine Gleichgültigkeit. Nichts, was ich die ganze Zeit zu fühlen dachte. Es war eher auffordernd. Ich stand auf, tastete um mich herum. Ich versuchte die Wände wieder zu finden. Es war dunkel. Ich tastete weiter und da, da gab es eine Klinke. Ich zieh dran, und sie lies sich ziehen. Je ich zieh, kam Licht rein. Meine Augen brennten und ich drückte dann dran. Das Licht war weg. Ich war wieder wach, und das Licht war aus. Ich stand auf, tastete mich wieder heran. Fand die Klinke wieder und zieh dran. Es öffnete sich die Wand. Das war eine Tür. Eine Dusche. Ein Waschbecken und Licht. Meine Augen brennten nicht.

Ich hörte die Stimme einer Frau hinter mir. "Du bist endlich wach" sagte sie und umarmte mich. Ich kenne dich nicht, wollte ich sagen, aber ich erinnerte mich an mein Spiegelbild...wie er mir über seine Träume sprach, wie er meinte, er wolle endlich heiraten. War das seine Gelobte? Aber warum seine? Ist doch auch meine. Aber ich erinnere mich an sie nicht.

Es war ein Autounfall, der mich zu diesem Ort brachte. Ich sei für Wochen bewusstlos gewesen. Die Verlobte habe mich immer besucht. Ich hieße Wagner. Und so lebte ich weiter.








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